Die blaue Stadt Húsavík – Island Teil 6
Kennen Sie das? Man begegnet einem Menschen oder einem Ort zum ersten Mal, erlebt diese Begegnung sehr nachdrücklich und wenn man später an diesen Menschen oder den Ort zurückdenkt, hat man immer das Bild dieser ersten Begegnung vor Augen.
Das kleine Húsavík im Norden Islands wird deshalb für mich immer die „Blaue Stadt“ sein.
Sie war eingerahmt von weiten Feldern Alaska-Lupinen, der Himmel strahlte wieder blau, fand seinen Widerschein in der Skjálfandibucht, und selbst das Wal-Museum grüßte mit blauen Farben.
Der Tag war Lehrstück für den Grundsatz: Sei stets offen für die Wunder des Lebens! Denn eigentlich wollte ich mit dem Abstecher in den Norden lediglich das schlechte Wetter vermeiden, welches für nahezu den ganzen Inselstaat angesagt war, außer für den Nordosten.
Ansonsten rühmte der Reiseführer Húsavík vor allem wegen der Whale-Watching-Fahrten und fand darüber hinaus nicht viel Erwähnenswertes. Für mich wurde dieser Tag einer der schönsten meiner Islandreise, auch wenn man meinen möchte, die Bilder von anderen Orten wären spektakulärer. Spektakulär bedeutet ganz offenbar nicht zwangsläufig, dass es uns im Herzen mehr anrührt als das scheinbar Einfache.
Der Morgen zeigte sich noch wolkenverhangen und ich richtete mich auf einen Ausschlaf-Tag ein, sobald ich Húsavík erreicht hätte. Was mich nicht hinderte, jede Nebenstrecke, die von der Straße 845 bzw. 85 abging, hineinzufahren und alles anzuschauen. Wenn der Reiseführer nix hergibt, muss man halt selbst gucken.
In der kleinen Kirche in der Torfhaussiedlung Grenjaðarstaður hielt ich kurz inne und bedankte ich mich für die bisherige erlebnisreiche wie angenehme Reise. Außer mir war um diese Zeit, es war erst 8.00 Uhr, noch niemand in diesem schönen Komplex, der bis 1949 bewohnt war und heute ein Museum ist.
Kurz darauf gab es vor der Kulisse der Halbinsel Flateyjarskagi bereits eine Einstimmung auf die „blaue Stadt“ :-)
Die gegenüberliegende Seite der Skjálfandibucht ist durchweg gebirgig. Der Víknarfjöll und der Kinnarfjöll bieten von der Straße 85 aus überall einen schönen Panorama-Hintergrund.
Die Ostseite der Bucht ist viel flacher, weist nur einige Hügel auf und bietet damit mehr Siedlungsraum. Das spürt man schnell beim Nähern an Húsavík, denn es wird deutlich voller auf den Straßen. Manchmal sind es sogar Pferdeherden, die in rasantem Tempo über die Wiesen preschen und dabei durchaus mal die 85 queren.
Und dann ist sie auch schon da, die blaue Stadt. Bereits am Ortseingang stoppte ich; die Sonne kam nach und nach zurück und warf schönes Licht auf die Lupinenfelder sowie auf den Hausberg Húsavíkurfjall.
In mehreren im vergangenen Jahr gelesenen Reiseberichten hatte ich gelesen, dass man nach Húsavík eigentlich nur fährt, wenn man an einer Walbeobachtung teilnehmen will. Diese Meinung kann ich nicht teilen, auch wenn es sein mag, dass die Stadt im Juni zur Lupinen-Blütezeit speziellen Charme versprüht, der ansonsten nicht gleich so sichtbar ist.
Aber schon beim Laufen durch die Hafengegend, beim Beobachten des regen Lebens dort fühlt man sich richtig wohl. Und auch eingeladen, in einer der kleinen Gastwirtschaften zu verweilen.
Vielerorts trifft man auf isländische Originalität:

Was eine isländische Familie an Fahrzeugen braucht. Mit dem Land Cruiser ist Mama sicher gerade Semmeln einkaufen gefahren.
Wer wandern will, für den gibt es schöne Wandermöglichkeiten auf den Hausberg, zum dahinter liegenden See Botnsvatn und auch an der Küste entlang.
Unterwegs habe ich etliche solcher Grassoden-Hütten gesehen:
Bei der Überlegung, wo ich heute mein Quartier aufschlagen sollte, musste ich entscheiden, ob ich im Raum Húsavík bleiben oder beizeiten Tempo machen und um die Halbinsel Tjörnes herumfahren wollte.
Mittags hatte ich bereits einige Stunden auf der recht schönen Campsite Húsavík, wo ich auch duschen konnte, geschlafen:
So wäre ich wieder fit gewesen, auch eine größere Distanz zurücklegen zu können.
Doch oben an der Spitze der Halbinsel entschied sich diese Frage bei einem Zwischenstopp an der schönen Treibholzküste von selbst, denn einen so traumhaften Platz zum Verweilen und auch Übernachten würde ich an diesem Tag nicht mehr finden.
Tausend Beschäftigungen aus der Kindheit fallen einem spontan an solch‘ einem verwunschenen Ort ein: Natürlich zunächst das Gelände erkunden, Holz für einen schönen Essplatz zusammensuchen, die vielen Vogelarten beobachten.
Dann kam auch noch Besuch. Zunächst diese hier samt ihrer Großfamilie.
Ich hatte inzwischen anhand ihrer Hinterlassenschaften schon gesehen, dass ich mich im Einzugsgebiet tierischer Nachtwanderungen befand.
Der ganze Clan kreiste mich nun – abwechselnd futternd und den Kopf zu mir erhebend – sukzessive ein, wobei die Kreise immer kleiner wurden. Sehr spannend. Angesichts der gehörnten Großtiere wusste ich nicht recht, was sie noch so vor hatten und legte mir sicherheitshalber irgendwann einen Holzscheit parat. Nach gefühlten 30-40 min. hatten sie mich offenbar genügend observiert und zogen ihre weiteren Bahnen.
Ich konnte weiter fotografieren.
Doch kurz darauf brauste mit Speed ein Traktor heran und mit demselben Speed sprang der Fahrer vom Fahrzeug und rannte auf mich zu.
Oh je… der Farmer… war mein wild-romantischer Abend an der Treibholzküste zu Ende, ehe er richtig begonnen hatte?
Doch da zeigte sich, dass ich die Isländer noch nicht kenne. Er war überaus freundlich und… auch sehr reizend! So wurde der Abend noch ein wenig romantischer :-)
Wir plauderten eine ganze Weile über das isländische Leben, welches dem Farmer im Sommer Arbeitstage bis weit in die Nacht beschert, während es im Winter sehr ruhig ist und sie dort oben im Norden zwei Monate die Sonne nicht sehen. Das mache ihm aber nichts aus, meinte er. Er sei dort geboren und an den Rhythmus gewöhnt.
Netter Weise erfuhr ich von ihm auch noch, wo ich am nächsten Tag Papageientaucher beobachten könne. Wir hatten viel Spaß an der Entdeckung, dass es zwischen deutschen und isländischen Wörtern so viel Verwandtschaft gibt.
Währenddessen waren rings um uns dunkle Wolken aufgezogen, wobei die Sonne erhalten blieb, was eine ganz einzigartige Lichtstimmung ergab, selbst als ein kurzer warmer Sommerregen runterkam. Irgendwann ließ ich den netten Mann wieder ziehen und sein Tagwerk vollenden. Unser Gespräch indes blieb mir in Erinnerung.
Bei diesem hatte ich übrigens ganz vergessen, dass meine zweite Kamera noch in der Apsis des Zeltes lag. Sie hat dann – wie der Fotorucksack und der Reiseführer – auch eine Husche abgekommen, aber zum Glück ist die gute Nikon in solchen Fällen nicht zimperlich. Rucksack und Buch waren am nächsten Morgen auch wieder trocken :-)

Ganz weit im Hintergrund der kleine aufragende Punkt war der Camper meiner „Nachbarn“ zur rechten in dieser Nacht. Idylle pur!
Der Regen währte nur kurz. Aber selbst, wenn er angedauert hätte: Diese Nacht war meine Mittsommernacht! Die erste, die ich erlebte und so eindrucksvoll, dass sie nicht getoppt werden konnte durch vorherige Highlights wie die Krafla-Vulkanlandschaft und auch nicht durch noch Kommendes wie den großartigen Abend am Jökulsárlón.
Ich kann keine rechte Begründung dafür abgeben. Sonnenuntergänge habe ich schon viele erlebt, in Griechenland auch wirklich traumhafte.
Vielleicht war es die Gesamtheit dieses Tages: Die nächtliche Stille am Goðafoss, das Traurigsein, als das Abwarten und Aufbleiben nicht durch Morgensonne belohnt wurde. Dann das Loslassen: egal, wie das Wetter wird und ob du heute DAS Foto machen kannst – es ist doch einfach schön hier! Die Überraschung angesichts des „blauen“ Húsavík… das quirlige Leben dort.
Und nun diese rot-goldene Nacht bei Mánábakki.
Alles war gut!, ich schaute eine Stunde lang wie gebannt zu, wie die Sonne nahezu festgenagelt am Übergang von Himmel und Grönländischem Meer hing. Eine unwirklich scheinende Szenerie… ein Krimi hätte mir nicht spannender sein können.
Als ich schließlich gegen halb zwei beobachtete, wie die Sonne nun wieder aufstieg, sagte ich den Schafen und den Vögeln „Gute Nacht“ und krabbelte in mein Zelt. Darin war es unglaublich hell, die Hilleberg-Innenzelt-Sonne und die reale kumulierten. Doch ich schlief gut und fest sieben Stunden lang – mein Rekord in Island.
Am Morgen erwachte ich, weil ein Auto in der Nähe parkte und Lärm dabei machte. Eine Frau und zwei Männer waren gekommen, zogen sich wasserfeste Kleidung an und wurden kurz darauf zu einer Tour Richtung Mánáreyar abgeholt.
Bei ihrer Abfahrt winkten wir uns fröhlich zu. Sie fuhren gen Norden – mich würde der Weg nun nach Süden führen.