Der große Stau von England – Dover bis zum Lake District
Teil 2 Großbritannien-Tour 2015.
Reisende mit Destination Schottland sollten sich hüten, die Wahl der Anreise lediglich nach Fähren- und Spritpreis sowie Fahrtdauer zu entscheiden.
Nach mehreren Stau-Erfahrungen kann ich jedem, der ausschließlich nach Schottland und nicht auch noch Schönes in England ansehen will, nur raten, die Fähre nach Newcastle zu benutzen. Das Fahren in England nämlich ist, was die Zeitdauer betrifft, völlig unberechenbar, wie Thabo und ich Ende Juli am Tag 3 unserer Großbritannien-Reise erleben mussten.
Nach dem Abschied von meinen Hasen-Nachbarn starteten wir sehr gut ausgeruht und inzwischen schon in bester Ferienlaune gegen halb neun von der Hawthorn Farm Campsite Richtung Norden, Ziel Südschottland: 700 km, mit gemütlichen Zwischenstopps sollten wir dies an diesem Tag schaffen können. Schließlich fahre ich fast 1.000 km nach Rügen auch gut an einem Tag.
Das Elend begann indes bereits schon 20 km weiter und damit noch vor dem gewohnten Gedränge im Londoner Gürtel.
Hatte ich auf der M20 noch überlegt, ob ich mir kurz die Campsite in Ashford ansehe (als Ausgangspunkt für die schönen Gärten und Schlösser im östlichen Südengland), so wurde diese Idee gleich wieder verworfen: Um London herum muss man ohnehin meist mit einer Stunde Verzögerung rechnen, nun würde einiges hinzukommen.
Und es kam…kam knüppeldicke… wir fuhren zwischen Schritttempo und Tempo 30 die M20 bis London und danach das weite Rund östlich und nördlich um die Mega-City herum.
Es war, als hätte ich im Navigon die Option aktiviert: Fahre in jeden Stau, vermeide alle Straßen, auf denen es schneller zugeht als mit dem Handkarren.
Höflich wie die Susi ist, sagte sie zwar an: „Eine neue Verkehrsmeldung betrifft Ihre Route“, um ernüchternd monoton zu ergänzen: „Eine Umleitung wird nicht empfohlen“. Ehrlich gesagt, stelle ich diese Empfehlung heute in Frage, und ich würde mir auf weiteren Reisen wie in früheren Zeiten immer Alternativstrecken anschauen und auf einem Zettel notieren.
Unterwegs die Routing-Funktion des Smartphones zu nutzen, erwies sich als nicht möglich. An dieser Stelle kurz eine Bemerkung zum hochgelobten O2-Travel-Day-Pack: „Für 1,99 €/Tag können Sie im Ausland preiswert surfen.“ Vergiss es gleich!!!, ich bin wirklich kein Viel-Nutzer, aber die 50 Mb Tagesvolumen waren schon nach dem Frühstück erschöpft, wenn die Mails gekommen waren und die Dienste ihre Funktion aufgenommen hatten. Zum Mail-Abrufen ist es o.k., bei Anhängen wird es kritisch, und wichtige Apps wie der Wetterbericht, Staumeldungen, Standortsuche etc. sind damit gar nicht mehr nicht sinnvoll einsetzbar.
1x aktivierte ich aus der Not heraus sogar noch ein zweites Guthaben für diesen Tag, dann fuhr ich entnervt, aber entschieden einige Stunden später an einem der in Großbritannien oft sehr gut ausgestatteten Tankstellen-/Service-Plätze raus und ließ mir im Supermarkt eine britische Simcard mit 2 GB Datenvolumen einbauen und installieren.
Außerdem nahm ich den preisgünstigen Straßen-Atlas (4,99) mit, der sich während der gesamten Reise sehr bewährte, weil es oft keinen oder schlechten Handyempfang geben sollte.
Somit wieder einigermaßen anständig ausgerüstet, regte mich der neuerliche Stau – eine halbe Stunde hatten wir tatsächlich die rasante Maximalgeschwindigkeit von 112 km/h fahren können – für eine Weile nicht mehr so auf. Südschottland würde ich zwar für heute abschreiben können, dafür eben im ebenfalls sehr schönen Lake District übernachten. Erst als sich mir zwischen Birmingham und Manchester die Frage stellte, ob ich zuerst eine Thrombose vom ewigen Ein- und Auskuppeln bekommen würde oder eine Panikattacke vom unendlichen Eingesperrtsein in den vielen Fahrspuren, riss irgendwann am frühen Abend!!! der Geduldsfaden und ich fuhr kurz nach dem Abzweig Manchester von der Autobahn ab, um eine Alternativstrecke zu suchen.
Au weia, macht so etwas niemals im fremden Terrain und mit einem Navigon-Guide! Erst als ich mit viel Mühe die Funktion entdeckt hatte: „Meide Autobahn“, ging es etwas voran, vorher fuhren wir schöne große Kreise, um immer wieder auf die M6 gelenkt zu werden. Diese Abschaltfunktion muss doch bitte unterwegs auf Knopfdruck erreichbar sein!
In diesem großen Hin und Her lernte ich aber immerhin Preston kennen – das wäre normaler Weise kein angepeiltes Ziel von mir. Preston am Fluss Ribble, in den englisch-schottischen Auseinandersetzungen von der Armee unter Robert The Bruce niedergebrannt und danach immer wieder Schauplatz des schottischen Unabhängigkeitsstrebens. Heute scheint die Universitätsstadt ein Beispiel für funktionierende Integration zu sein; sie vermittelt beim Durchfahren einen entspannten Eindruck, auch in dem Viertel, wo man auf den Bürgersteigen nur Menschen arabischen Aussehens und arabisch beschriftete Straßennamen sieht. Obwohl todmüde, war mein Interesse gleich wieder hellwach.
In der Umgebung der Stadt mit dem sehr schönen Moor-Park trifft man auf zahlreiche Fahrradfahrer – dieser Anblick war mir nach den vielen Stunden auf der Autobahn sehr versöhnlich und der Stress reduzierte sich.
Trotzdem war es dann nach 20.00 Uhr, als ich den Lake District erreichte. Ich hatte im Auto-Atlas zwei Campsites bei Windermere eingezeichnet gefunden, von denen eine jedoch ein reiner Caravan-Park war und die andere in der beginnenden Dämmerung nicht auffindbar.
Was tun?, würde heute eine Übernachtung im Auto drohen? Und dies nach der fürchterlichen Plage auf den Straßen? Ich wollte es nicht glauben und so trudelte ich langsam, denn die enge und kurvenreiche A591 von Windermere Richtung Keswick lässt schnelles Fahren kaum zu, an den Seen entlang, ständig Ausschau nach einem Übernachtungsplatz haltend.
Bis ich dann in Grasmere, rechts an der Straße das Macdonald Swan Hotel erblickend, meinen Fuß auf die Bremse fallen ließ und das Gefühl hatte: Es ist genug für heute. Wenn sie mir ein Zimmer geben, bleibe ich in diesem netten Gasthaus.
Na ja… leider ist es oft so, dass DAS, was mir als „nett“ ins Auge fällt, sich als ziemlich exklusiv herausstellt. Der Startpreis von 140 £ (196 €) ließ mich schwindelig werden, also sagte ich erst mal gar nix dazu, sondern schwieg die nette Dame an. Sie nahm dies wohl als Zeichen, dass ich verhandeln wollte, bückte sich noch einmal über die Zahlen und kam schließlich bei 104 £ raus, mit Frühstück.
Das fand ich immer noch grausam, Thabo hingegen – nach einem Blick in die Lounge – stänkerte: „Warst doch in Botswana in der Rooitput-Lodge auch nicht zu pingelig, 150 € für die Nacht hinzulegen, obwohl ihr da sogar schon eine bezahlte Campsite hattet!“ Also reichte ich hoheitsvoll meine Kreditkarte über den Tresen und von da an war es nur noch gemütlich, was wir uns an diesem Tag wirklich verdient hatten.
Noch einen Spaziergang ins inzwischen dunkle Grasmere, dann ein Pint und ein kleines Dinner und ab in unsere Kemenate, wo es noch heiße Schokolade und ein herrlich entspannendes Lavendelbad gab.
Ja, so muss ein solcher Tag enden, sonst wäre es ein verlorener gewesen :-)))
Und schließlich ist ein Macdonald Hotel auch schon ein bisschen Schottland!
Am nächsten Morgen, wohlig ausgeschlafen, las ich in der Hotelmappe, dass mich das Schicksal außerdem an einen höchst interessanten literarischen Ort geführt hatte: Im seit 1650 existierenden SWAN hatte früher der Schriftsteller Walter Scott logiert, wenn er seinen in Grasmere wohnenden Freund, den Dichter William Wordsworth besuchte. „Who does not know the famous SWAN?“, lässt Wordsworth den Protagonisten in seinem Poem „The Waggoner“ fragen und so verstand ich auch, warum diese Worte heute über dem Hoteleingang stehen.
Nach einem ganz herausragenden Frühstück mit vier Gängen, bei dem ich mir vorstellte, vielleicht in derselben Ecke zu sitzen wie früher die beiden Schriftsteller – denn sie trafen sich hier oft zum morgendlichen Treffen – sowie nach einem Spaziergang durch den schönen Garten und durch das wunderbar grüne Grasmere entschied ich mich, diesen Tag – wenngleich nicht im SWAN – so doch im Lake District mit seinen vielfältigen Wandermöglichkeiten zu bleiben.