Melancholie über Kanaan – Namibiareise Teil 5

“ – Still, horch! –
Die Eule war’s, die schrie,
der traur’ge Wächter…“ (Shakespeare, Macbeth)

Was werden die scheuen Eulen von Kanaan in den nächsten Jahren zu sehen bekommen? Der Hausherr, Hermi Strauss, hat die Farm in diesem Mai verlassen.


Ich bin sehr, sehr froh, Hermis Kanaan noch erlebt zu haben: Das weite, unwirtliche Land am Rande des Namib Naukluft Parks und mittendrin die kleine Oase aus Kunst und warmherziger Gastfreundlichkeit. Dieses Kanaan, die wortkarge Dreieinigkeit des Farmbesitzers mit seinen beiden Angestellten Hermann und Johanna war so angenehm wie originell – ich vermisse es jetzt schon.

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Von Tolouse Lodge zur Farm Kanaan waren es knappe 100 Kilometer Richtung Tirasberge. Eine entspannte Strecke, landschaftlich überaus reizvoll.
„Die Zufahrt nach Kanaan führt über einen mit hohem Gras bewachsenen Weg“, hatte Stefan gesagt. Und es SO gesprochen, dass die Gefahr mitschwang, das Gras könne sich um die Kardanwelle wickeln, wodurch es in Afrika nicht selten zu spektakulären Autobränden kommt.

Um so überraschter waren wir alle, als wir bei unserer Ankunft weder hohes, noch niedriges, sondern GAR KEIN Gras vorfanden. Dürre in hellem Ocker mit vereinzelten Grasstummeln. Hatte hier eine Feuersbrunst gewütet? Nein, erfuhren wir auf der Farm, es ist einfach der normale Wandel: mal ist es grüner, mal so wie in diesem Jahr. Von Jan, der auf Tolouse akribisch Statistiken führt, hatten wir allerdings auch erfahren, dass der Grundwasserspiegel im Großraum Jahr um Jahr sinkt. Intensive Tierhaltungen einiger Farmer verbrauchen zu viel Wasser, welches in der Wüste einfach nicht vorhanden ist.

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Wir hatten auf Kanaan zwei der vier Gästezimmer gebucht. Außer einem südafrikanischem Freund von Hermi Strauss waren in diesen zwei Tagen keine weiteren Gäste auf der Farm. Auch diese Exklusivität hob Kanaan aus vielem heraus, was ich bislang auf Reisen kennengelernt habe und ich vermag nicht nachvollziehen, dass es Menschen gegeben hat, die dabei noch die Quadratmeter der Schlafzimmer kritisch beurteilten.
Kanaan war nicht so angelegt, dass man sich außer zum Schlafen in den Gästezimmern aufhielt. Der Gastgeber stellte sein lichtdurchflutetes Wohnzimmer mit vielen Sammelschätzen und eine große Terrasse zur Verfügung. Schöner kann man es nicht haben.

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Und morgens wie abends ging es mit dem Landrover quer über sein Land. „Es ist Zeit zu starten, wir müssen vor Sonnenuntergang noch 70 km fahren“, mahnte uns Hermi am Ankunftstag zum Aufbruch. 70 Kilometer? Auf einer Farm? Ich hörte die Worte, aber mein Verstand konnte sie nicht recht verarbeiten. Und überhaupt: Wir fahren jetzt so viele Kilometer, um irgendwann zu unserem Foto-Ziel zu kommen? Wenn man Kanaan nicht kennt, versteht man es nicht: Die Weite, ja auch die Leere SIND das Foto-Ziel! Einzigartig, nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem, was mir in Namibia begegnet ist.

Wir haben woanders viele schöne Landschaften gesehen, aber irgendwo war die Schönheit immer auch „begrenzt“ im eigentlichen Sinne des Wortes: durch eine Straße, eine Stromleitung, Zäune… ja oft viel zu viele Zäune. Klar, der Fotograf baut diese „Störungen“ ins Motiv ein oder schließt es aus dem Bildaufbau aus – doch unsere Seele weiß: Da… einen Meter vor dem unteren Bildrand führte die belebte Straße entlang.

Auf Kanaan gibt es dergleichen nicht: Kurz nachdem wir das Farmhaus verlassen hatten, war um uns nur noch Geschlossenheit der Landschaft – bis zum Horizont, wo sich je nach Himmelsrichtung Hügelketten  oder rote Dünen erhoben. Lediglich Hermis Landrover-Spuren ergänzen die sparsamen Strukturen dieses Landes.

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So ähnlich stelle ich mir isländisches Hochland vor – vielleicht in anderen Farben und natürlich fernab der Campsites.

Und ich habe etwas Neues über mich erfahren: Mein Seele ist tief berührt von dieser Leere, in welcher Landschaft, Tageszeiten, Sonne und Wolken ständig neue Szenarien schaffen. Ein gigantisches Amphitheater.

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Die Dürre von Kanaan bietet Bäumen und Tieren nur äußerst dürftige Lebensvoraussetzungen. Deshalb wohl waren sie, soweit auf Kanaan vorhanden, die besonderen Schützlinge von Hermi Strauss. Einigen der abgestorbenen, verknorpelten Bäume hat er Namen verliehen. Für die Oryxe schuf er Wasserstellen und riss Zäune nieder.
Ja, auch er jagte Oryxantilopen für die Versorgung auf der Farm – jedoch wird es ganz gewiss nicht die Jagd sein, die er in seinem neuen Leben in Europa vermissen wird.

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Neben seiner Weite hat Kanaan aber auch sehr viele schöne Details zu bieten.  Das sind unter anderem die steinigen Hügel mit den Köcherbäumen wie hier (rechter Baum mit einem Webervogelnest), aber vor allem die wunderschönen roten Dünen.

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Ich habe Kanaan bewusst eine eigene Geschichte in meiner Berichtserie über Namibia gewidmet. Zum einen wegen seiner ergreifenden Schönheit und zum anderen aufgrund es zu erwartenden Wandels. Bei allem Optimismus, mit dem wir unsere Erwartungen gerne schützen möchten, spricht die Realität in der namibischen Entwicklung doch eine andere Sprache. Eine Modernisierung von Kanaan ohne Einschnitte in das sensible Gefüge ist kaum vorstellbar. Ein Investor, wer es auch immer sei, wird seine eingesetzten Mittel über kurz oder lang und immer lieber „über kurz“ amortisiert sehen sollen, zumindest aber früher oder später den anderswo zu beobachtenden Verlockungen erliegen.

Man muss Hermi Strauss für die Jahre, die er mit viel Herzblut und seinem ausgeprägten feinen Gespür für Ästhetik Kanaan geführt hat, dankbar sein. Dass er für sein Leben noch anders aussehende persönliche Träume hat – wer will es ihm verdenken?!
Ich wünsche ihm unendlich viel Glück auf diesem Weg und wunderbare Impulse für seine künstlerische Entwicklung. Auf Kanaan sollen die Eulen achtgeben.

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